Helena
von Schallenberg und Judith Sabina von Starhemberg:
Schreiben im konfessionellen Zeitalter
Auszug aus:
Ruth Blümelhuber, Sprachliche Untersuchungen von Briefen adeliger Damen
des 16. und 17. Jahrhunderts aus Österreich, Diplomarbeit, Wien 2003.
Die Briefe der Helena von Schallenberg aus den Jahren 1582 bis 1597 und der
Judith Sabina von Starhemberg aus den Jahren 1624 bis 1629 entstanden in einer
Zeit der religiösen und kulturellen Umbrüche. Nach dem Auftreten Luthers
in Deutschland fand seine Lehre mittels reformatorischer Schriften schon bald
große Verbreitung im ganzen deutschsprachigen Raum. Erste protestantische
Drucke wurden auch in Wien bereits um 1520 hergestellt. Die neuen Lehren fielen
vor allem beim Adel auf fruchtbaren Boden, was auch der erzkatholische König
Ferdinand I. (1521-1564) nicht verhindern konnte. Jedoch leitete die habsburgische
Obrigkeit mit Berufung des Jesuiten Petrus Canisius 1552 die Rekatholisierung
ein, und auch diese religiöse Bewegung war sehr erfolgreich. So kam es,
daß um 1600 ein Großteil der Bevölkerung wieder zur althergebrachten
Religion zurückgekehrt war, und auch der Adel konnte bald wieder dem religiösen
Gehorsam zugeführt werden.
Ein Kernstück der lutherischen Lehre war die Auseinandersetzung mit Gottes
Wort in jener Sprache, die das Volk verstand. Grundlage dafür war Luthers
neue, vollständige Bibelübersetzung. Dieses Element sollte dazu führen,
daß die Sprache in der konfessionellen Auseinandersetzung bald eine große
Rolle spielte. Die Sprache der Lutherbibel basierte auf der ostmitteldeutschen
meißnisch-obersächsischen Kanzleisprache und war auf so vorteilhafte
Weise gewählt und elaboriert, daß sie von vielen als vorbildlich
bezeichnet wurde. Luthers Schreibweise wurde dann zur Grundlage der modernen
allgemeindeutschen Standardsprache. Jedoch traf diese Schreibweise ebenso wie
Luthers religiöse Lehren auf bedeutende Konkurrenz, und zwar im bairischen
Raum auf die Kanzleisprache Maximilians I. (1493-1519). Durch die ausgedehnte
Korrespondenz von Maximilians Kanzlei konnte sich diese Sprache bis nach Bayern
etablieren und ebenfalls, wie Luthers Sprache, in Richtung einer Vereinheitlichung
der Schreibweisen wirken. Ein weiteres gewichtiges Argument für die Maximilian’sche
oberdeutsche Schriftsprache war ihr Bezug zur regionalen Sprechweise, vor allem
zu der Form der sogenannten „Herrensprache“.
Mit dem Einsetzen der Gegenreformation wurde die Sprache endgültig zum
Mittel der konfessionellen Auseinandersetzung. Die Jesuiten verteufelten die
ostmitteldeutschen Einflüsse, die sich um 1550 doch langsam bemerkbar machten,
als ketzerisch und konnten dieser Auffassung auch durch Ausübung der Zensur
Nachdruck verleihen. Zwar brachten auch aus nördlichen Gebieten zuwandernde
Prediger, Gelehrte und Buchdrucker bzw. Setzer ostmitteldeutsche Einflüse
aus ihren Heimatidiomen mit; zwar konnte und wollte die katholische Seite der
exzellenten Bibelübersetzung Luthers kein qualitativ gleichwertiges oberdeutsches
Werk entgegensetzen; zwar neigte Ferdinands Nachfolger auf dem Thron, Maximilian
II. (1564-1576) selbst stark zum Protestantismus; doch war insgesamt der Einfluß
dieser lutherisch-ostmitteldeutschen Sprache zu gering, um sich wie in Deutschland
rasch durchzusetzen.
Erst nach 1650, also in einem Zeitraum, in dem die hier begegnenden Briefschreiberinnen
nicht mehr lebten, verwischten sich die Unterschiede zwischen den beiden Schreibtraditionen
allmählich. Was die Orthographie betrifft, so hat seither eine weitestgehende
Vereinheitlichung für Deutschland und Österreich stattgefunden; die
kulturellen Unterschiede, die in der frühen Neuzeit ihren Anfang haben,
finden sich aber bis heute. Deutlich ist etwa die Auseinanderentwicklung der
sakralen Architektur im katholischen Süden gegenüber dem protestantischen
Norden: Im Süden entstanden die überschwenglichen Kirchen des aus
Italien kommenden Barock, während im Norden die alten romanischen und gotischen
Kirchen bestehen blieben oder durch eher nüchterne Neubauten ersetzt wurden.
Hierzu vergleiche:
Wiesinger, Peter: Zur bairisch-oberdeutschen Schriftsprache des 16. und frühen 17. Jahrhunderts in Österreich unter dem Einfluß von Reformation und Gegenreformation. In: Hoffmann, Walter (hg.): Das Frühneuhochdeutsche als sprachgeschichtliche Epoche: Werner Besch zum 70. Geburtstag. Frankfurt a. M. [u. a.] 1999, S. 241-245.
Wiesinger, Peter: Zur Frage lutherisch-ostmitteldeutscher Spracheinflüsse auf Österreich im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Beiträge zur Sprachwirkung Martin Luthers im 17. / 18. Jahrhundert. Hg. von Manfred Lemmer. Wissenschaftliche Beiträge der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Halle/Saale 1987/10, S. 83-88.
Wiesinger, Peter: Die Entwicklung der deutschen Schriftsprache vom 16. bis 18. Jahrhundert unter dem Einfluß der Konfessionen. In: Zeitschrift der Germanisten Rumäniens 1-2 (17-18) 2000, S. 155-159.
Glaubensfragen in den vorliegenden Briefen
Daß die Religion in der frühen Neuzeit im Mittelpunkt des gesellschaftlich-kulturellen Diskurses stand, zeigt sich deutlich auch in den Briefen Schallenbergs und Starhembergs. Obwohl es um rein private Korrespondenz geht, die auch nur einen eher geringen Umfang aufweist, ist doch den Briefen beider Schreiberinnen zu entnehmen, welcher Konfession sie angehören und welche religiösen Vorstellungen sie haben.
Da Helena von Schallenberg
einen Großteil ihres Lebens im Kloster verbrachte, ist schon daraus ersichtlich,
daß sie der katholischen Religion anhing. Von ihrem ersten Brief an, 13
Jahre vor dem Eintritt ins Kloster, fallen gebetartige Passagen auf: „laß
dich wißen das es mier Gott dem herrn ßeÿ lob vnd danckh geßagt
gar wol get der wölle mich vnd vnns alle langen zu seiner götlichen
gnad erhalten amen“. Auch ermahnt die Schreiberin gelegentlich den jüngeren
Bruder, an den die Briefe gerichtet sind, seine religiösen Pflichten nicht
zu vernachlässigen: „hab gedacht du habst mein vor guet löben
gar ver=gössen wölches jch dier aber herzlich wol gun, sovil dier
zu deiner seelln hail nit schat da jch doch zu got hoff vnd zweiflt mier gar
nit, du welest viernimblich die ebige vreit, vier die zergenglich bedenchen“.
Für Schallenberg steht fest, daß Gott die Menschen beschützt
und für gute Taten belohnt, aber auch für Böses bestraft, denn
die Türkenkriege sind für sie eine Strafe: „es khomben schier
däglich so böße [le]idüge zeitungn vomb thürkhn hieher
das wier schier [v]or angst sterben möchtn, laß mich vmb gotts willn
[do]ch wissn wie es beÿ enkh zueget, wie khombts [d]och, es ist ein rechte
straff von Gott das man [i]mb so gar nit wörde der Allmechtüg Gott
erparmb sich gnedig vber vnß“.
Schon in einem Brief aus dem Jahr 1584, dem 25. Lebensjahr der Schreiberin,
offenbart sich ihr Wunsch, in ein Kloster einzutreten; dieses schildert sie
gleichzeitig als Ort, an den die Frau eines zu Gewalt neigenden Ehemannes flüchten
kann: „jch laß dich wissen das die frau madalena vn[sre] frau maimb
zu der khenigin matalena gen hall ins khloster khombt so hat der frauen jr [herr]
gesagt, vnd jrs herrn liebhaberin hat her [Hans] albrecht ins gefenckhnus gebracht
darinen [sie] verfaulen mues dös denn jr verdienter lon [ist,] aber die
frau mues es gar ser beÿ imb en[tgelten] also das sie nit jr nit miglich
ist beÿ im zu ble[ibn,] es ist wol zumb bösten vier sie das sie in
aim[b] khloster seÿ weil sich doch jre brieder so gar [nit] vmb sie annemben
wann nuer got gnad geb da[s balt] göscheh er trot jr er wöl sie vmbbringen
a[ber on] gottes willen mag aimb nit ein har khrimbt [wern] [...] wolt got im
himbl das miglich [sein] khindt das jch auch zu vnßerer maimben i[ns]
khloster khomben möcht jch het ein herzliche lust das wais got alain fircht
jch mich [dös] glaubens halben sunst achtet jch khains mensch[en] auf der
welt, die khenigin nämb mich gern h[inein,] wann jch meins gewissens halben
recht sicher [wär]“. Das Leben als Nonne ist für Schallenberg
später die mystische Hochzeit mit Christus, den sie auch sonst immer wieder
erwähnt: „du wierst ob gott will nichts dösto vn=glikhselliger
sein das ich jmb khloster bin vnd meine schwöstern stattlich verheirat[n],
ich main ich hab denn pösten taüll erwölt, weill ich müch
demb hegsten hümblischn preidtigamb vermöhlt hab“.
Jedoch vergehen zwischen der Äußerung der Schreiberin, ins Kloster
gehen zu wollen, und der Möglichkeit dazu elf Jahre, und als Schallenberg
1594 eine Stelle als Hoffräulein in München verliert, klingen Sorgen
um die Zukunft ihrer Religionsausübung an. Hier erfährt man auch ein
Mal, daß es vom katholischen Glauben Abtrünnige gibt. Schallenberg
schreibt dem Bruder, zu dem sie vorläufig ziehen muß: „dankh
demb lüeben gott jmb hümbl das du jetzt an eimb ordt püst da
ich mein relligion vnnd khirchn beÿ der ich in gott will sterbn will, habn
khan [...] bütt ich dich aus schwösterlichemb hertzn. durch gott vnnd
[so] hoch ich dich bütten khan, du wöl[lest] müer gleichffals
mein gwüssen nit beschwern vnnd mich amb gotts die[nst] vnnd meimb gebedt
nit verhündte[rn,] wölches allain mein ainnger trost [vnd] löben
ist, vnd damit ich nit etwa leidt halbn die nit der religion [sein,] amb khürchen
gen verhündtert wer[n] hab ich ein aignes maidl beÿ m[ier,] die bütt
ich mein hertz lüebster [brueder] der wölstu mier auch behaltn [vnd]
mit deinen leidtn össen lassn“. Offenbar ist in dieser Zeit die Tendenz
zum Protestantismus noch so groß, daß Schallenberg sich als Katholikin
in der Defensive fühlt.
Ein anderes Bild zeigt sich
bei Judith Sabina von Starhemberg, was zum Teil daran liegt, daß sie Ehefrau
und Mutter ist und ihr Leben daher weit weltlicher ausrichtet als Schallenberg.
Wichtiger dürfte aber wohl noch sein, daß Starhemberg offenbar dem
protestantischen Glauben anhängt, was um 1630, als sie ihre Briefe schreibt,
im Habsburgerreich bereits wieder eine recht exponierte Position ist.
Gottes Wirken spielt in Starhembergs Briefen eine geringere Rolle als in denen
Schallenbergs, auch sind entsprechende Stellen weniger inbrünstig: „gott
erfil meiner libsten frau muetter alle jhre gedankhen vnd erhaldt, mih in jhrer
genad“. Immer wieder schreibt Starhemberg aber über religiöse
Auseinandersetzungen und den Druck, zum Katholizismus zu konvertieren. Diese
Situation ist für sie Grund zur Besorgnis: „vmb die liben khinder
sol man sih wol zwar nit pedriben, [...] in disser warn verfolgens zeit sundern
gott mer drumb dankhen, aber der öltern herz khans gleih wol nit lassen,
ih freilih sol eins die senigen liber dot wissen, als das sie rehte erkhande
warheit [...] verlaugnen wie iezo fil menschen dein [=„tun“]“.
Auch in befreundeten adeligen Familien ist die Auseinandersetzung um die Religion
an der Tagesordnung: „die alte frau sreibdt herab vnd pegerdt an hern
paul jagob er sol sein ji[n]geste dohter fl warbara chonstanssia hinauff lassen
sie wolts gern der ju[n]gen frau der eua rögina göben, so hat ers
gleih in willens khinftige ostern hinauff zu sikhen, wie ih den fir mein deil
starkh darzue radt vnd hilff, den der vatter ist nun mer ein iberneihtiger [=“hinfälliger“]
man, vnd wen er sterben sol so weirn sein dehter in högster gefar wögen
ihrer khadolischen swöstern den die stubenpergerischen khinder der frau
paul jagobens san nun mer alle pepbstis [=“päpstisch, katholisch“]“.
Starhemberg selbst versucht, in theologischen Diskussionen einen Bekannten oder
Verwandten von der Konversion zum Katholizismus abzuhalten: „der her hans
wilhalmb ist iezo hie pefindt sih gar offdt peï vns mit den hab ih aller
leï gei[st]lih disgurs erman in hoh zu pestendikheit vnd mah im die höl
heis genug, gott erhaldt in vmb seiner ehr willen peï der pekhandten warheit
noh her ih wol nihts von im das willens sein religon zu endern“.
Doch sind die religiösen Umwälzungen der Gegenreformation für
Starhemberg nicht nur Quelle der Sorge, sondern auch des Zorns und der Verachtung
für die, die aus Opportunismus den Glauben wechseln: „das die frau
dudul von althamb peibstihs [=“päpstisch“] worden wird sie
wissen vnd nur so liederlih vnd in ein augenblikh hat sie sih das resolfirt
[=“rückgängig gemacht“] man wils von hern jörig ahaz
auh sagen vnd zweifeldt mir nit das er der frau dudl folgen wird den sie liben
peite ser hoh aneinander es sol zwar ein kheimbe [=“geheime“] lieb
sein vnd mörkts nimbdt als die ganze weldt, doh khan sies weniger pergen
als er, den hern hans ernst ist sie versprohen vnd so lag er löbdt khan
sie wol khein andern nemben [...] sie ist mit ihrn liben gleih so pestendig
als mit ihrn glauben“. Sogar direkte Zusammenhänge mit Karrierechancen
bei Hof stellt Starhemberg her: „ih her die neigste stölle zu hoff
[...] sol sie haben, vnd ire khinder wil der kheiser versorgen, freilih hat
sie wol nit die andaht sundern nur die zeitlihe khonsidereizion [=“Überlegung“]
darzue praht, verzeih jhrs, gott [...] der pri[n]g sie witer zu den rehten glauben“.
Offensichtlich ist der Streit um die Religion nicht nur Sache von Politik und
Kirche, sondern wird auch von den Frauen in den privaten Lebensbereichen ausgetragen.
Bei allen Vorbehalten gegenüber der feindlichen Konfession findet jedoch
Starhemberg ausnahmsweise auch anerkennende Wort für die katholische Lehre,
wenn sie ihrem Schwager schreibt: „vnd seine erbiten die pesten [„bestehen“]
nit allein in worden sundern sie lasen auff guett khadolisch von der religon
ih in dem pukhten [„Punkt“] ih ser fil halte jhr werkh sehen“.